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Neue Bekannte
Wer seinen Betrieb «Stuhl und Tisch» nennt, macht klar, was zu erwarten ist. Die Firma im aargauischen Klingnau produziert seit 1954 im Kundenauftrag Sitzmöbel und Tische. Einen rechten Anteil kauft sie ein und handelt damit. Man findet ihre Produkte in Restaurants, Kirchen, Altersheimen und Hotels in der ganzen Schweiz. Sie tragen Namen wie ‹Loriane›, ‹Yvonne› oder ‹Traditionell›. Vom Stilmöbel über Biedermeier und skandinavische Moderne bis hin zu einer gemässigten Postmoderne ist alles zu haben. Weshalb braucht es in diesem breiten Sortiment noch einen neuen Stuhl? Der Chef Willy Lüönd will die Kollektion modernisieren, in die Jahre gekommene Modelle aussortieren. Wie das Objektgeschäft läuft, muss man ihm nicht erklären. Sein Netzwerk ist gross, und er weiss, was gut vermarktbare Objektstühle ausmacht. Hauptsache stabil und stapelbar müssen sie sein. Deshalb wählt er mit Vorliebe die feste Buche, die sich gut biegen lässt. Für das Altersheim braucht es leicht auswechselbare Polster und eine etwas grössere Sitzbreite. Generell dürfen Hinterbeine nicht zu stark ausgestellt sein, damit niemand hängenbleibt. Ausserdem sollten Objektstühle nicht zu modisch sein, damit sie lange Gefallen finden.

Doch wie entwirft man einen neuen Stuhl, der nicht komplett neu wirken soll? Es war eine strategische Überlegung, welche die Designerin Gabriela Chicherio ins Firmenarchiv führte und zehn Modelle auswählen liess. «Geht es um einen nicht allzu eigenständigen Entwurf, wollte ich ihn aus der Firmengeschichte ableiten», sagt sie. «So konnte ich den eng gesteckten Spielraum ausreizen.» Am einen Modell faszinierte sie ein Konstruktionsdetail, am anderen die Art, wie der Stuhl gedacht war. In einer ersten Stufe präsentierte sie vier Entwürfe, schliesslich fiel die Wahl auf zwei, die zu Prototypen entwickelt und letzten Herbst an der Fachmesse Igeho in Basel vorgestellt wurden. ‹Grace› aktualisiert die Leichtigkeit und positive Grundstimmung der Fünfzigerjahre in einem Modell, das robust, stapelbar und mit oder ohne Armlehnen zu haben ist. ‹Liz› leitet sich von einem rationalen Entwurf aus den Sechzigerjahren ab: Das gerade Bein, kosteneffizient in der Produktion, ist leicht angewinkelt und gedreht und führt nahtlos in die Rückenlehne. Beide Modelle zeigen, wie nobel die Arbeit am Bestand ist. Gut, wird sie ernst genommen. Denn im Restaurant und im Altersheim haben wir keine Wahl, worauf wir sitzen.

Hochparterre 5/16 www.hochparterre.ch
Text: Meret Ernst, Foto: Patrik Fuchs

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